ÖB 06/2024: „Rentenpaket II fällt krachend durch“

Das Ökonomenbarometer stagniert im Juni. 91 Prozent der Experten lehnen die Rentengarantiepläne der Bundesregierung ab. Zwei Drittel befürworten eine Aktienrente

Von Wolfgang Ehrensberger

Seit Jahresbeginn ging es mit dem Ökonomen-Barometer aufwärts – doch die Bewegung ist zur Jahresmitte erst einmal zum Stillstand gekommen. In der Juni-Exklusivumfrage von €uro am Sonntag schätzen die Volkswirte die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland mit 32,4 Punkten genauso ein wie im Vormonat. Lediglich der Ausblick für die kommenden zwölf Monate ist mit plus 1,3 Prozent auf 30,1 Punkte etwas positiver ausgefallen. Nach Gründen für die verhaltenere Einschätzung der Wirtschaftslage muss man nicht lange suchen. So behalten die Notenbanken Fed und EZB die Inflationsrisiken weiterhin fest im Blick und schlagen restriktivere Töne an. Auch der Ausgang der Europawahlen und vor allem die angekündigten Neuwahlen in Frankreich sorgen für einen neuen und völlig unerwarteten politischen Unsicherheitsfaktor, der Wirtschaft und Börsen noch belasten könnte.

Rentengarantie und Aktienrente

Die Ökonomen befassten sich in der Juni-Umfrage unter anderem mit den Rentenreform-Plänen der Bundesregierung. Die Ampelkoalition hatte Ende Mai einen gemeinsamen Gesetzentwurf zum sogenannten Rentenpaket II auf den Weg gebracht. Es soll gesetzlich garantieren, dass das Rentenniveau bis 2039 nicht unter 48 Prozent eines Durchschnittslohns fällt. Dadurch steigen die Beiträge zur Rentenversicherung allerdings stärker als nach geltendem Recht. Mit dem vor allem von der FDP geforderten Generationenkapital wird zudem eine Aktienrente eingeführt. Diese soll ab Mitte der 2030er-Jahre durch die Erträge eines überwiegend aus Krediten finanzierten 200-Milliarden-Euro Fonds die Rentenversicherung entlasten. Die Teilnehmer des Ökonomen Barometers haben eine klare Meinung dazu: 91 Prozent halten die geplante Rentengarantie des Gesetzentwurfs der Regierung in Verbindung mit höheren Beiträgen für nicht sinnvoll. Dagegen sprechen sich 69 Prozent für das Generationenkapital und die Aktienrente aus. Die meisten Befragten argumentieren, die Rentengarantie sei entweder nicht finanzierbar oder eine unzumutbare Belastung der kommenden Generationen. Tim Krieger von der Uni Freiburg verweist darauf, dass es drei Kernmaßnahmen gebe, um die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren: „Absenkung des Rentenniveaus, Erhöhung der Beiträge und Erhöhung des Renteneintrittsalters“, erläutert Krieger. „Eine generationengerechte Rentenpolitik würde alle drei Maßnahmen einbeziehen, um die Lasten zu verteilen. Im gerontokratischen Deutschland ist aber offenbar nur noch eine einseitig zulasten der jungen Generation ausgerichtete Rentenpolitik möglich.“ In vielen Kommentaren wird zudem das Garantieversprechen an sich infrage gestellt: „Die politischen Entscheidungsträger unterliegen einer Kontrollillusion“, warnt David Stadelmann von der Uni Bayreuth. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Rentenniveau mit dem Rentenpaket nicht unter 48 Prozent fällt.“ Michael Frenkel von der Otto Beisheim School of Management verweist darauf, dass die geplante Reform die ohnehin hohen Lohnnebenkosten und die Abgabenlast weiter erhöht. „Sinnvoller erscheint ein Aufbau eines kapitalgedeckten Teils der Alterssicherung.“

Schuldentopf-Missbrauch?

Mehr als zwei Drittel der befragten Ökonomen sprechen sich in der Barometer-Umfrage für die geplante Einführung eines Generationenkapitals und einer Aktienrente aus. Doch auch dort steckt der Teufel im Detail, denn diese Pläne werden ebenfalls kontrovers diskutiert. „Ein erster Schritt beim dringend notwendigen Umsteuern der gesetzlichen Alterssicherung“, sagt Volker Hofmann, Leiter Volkswirtschaft beim Bundesverband deutscher Banken (BdB). „Geht ein Mini-Schrittchen in die richtige Richtung, kompensiert aber den restlichen Unfug im Rentenpaket bei Weitem nicht“, lautet das Urteil von Oliver Landmann (Uni Freiburg). Für Unbehagen unter den Ökonomen sorgt insbesondere die Finanzierung der Aktienrente über einen 200 Milliarden Euro schweren Schuldentopf. Der Zinsaufwand müsse mit den Aktienerträgen erst mal hereingeholt werden, lautet ein häufig zu hörendes Argument, etwa
von Karl Mosler (Uni Köln). Langfristig sei das aber machbar, glaubt Privalor-Vorstand Manfred Schweren. „So sinnvoll eine kapitalgedeckte Altersvorsorge sein mag, ist es der falsche Ansatz, den Fonds über Staatsschulden aufzubauen“, lautet dagegen das Fazit von Christoph Merkle (Uni Aarhus). „Die Aktienrente sollte besser über Beiträge finanziert werden.“ David Stadelmann (Uni Bayreuth) wiederum verweist noch auf ein ganz anderes Problem: „Ein Topf mit 200 Milliarden weckt unweigerlich politische Begehrlichkeiten“, warnt der Ökonom. Zukünftige politische Entscheidungsträger könnten den Topf für vermeintlich übergeordnete Zwecke wie Friedenssicherung oder Klimaschutz missbrauchen. „Die grundlegende Schwierigkeit besteht darin, dass das ‚Generationenkapital‘ massiv vor dem Zugriff politischer Akteure geschützt werden muss.“ Dies erfordere einen auf Verfassungsebene verankerten Schutz, so Stadelmann.