Es keimt Zuversicht: Die konjunkturelle Lage hat sich nach Ansicht führender deutscher Volkswirte leicht verbessert. Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv machte im März den Vormonatsverlust wett und erreichte mit 66,1 Punkten beinahe den Stand von Januar. Es liegt damit 0,9 Punkte oder 1,4 Prozent über dem Februar (65,2). Auch die Erwartungen auf Sicht von zwölf Monaten erholten sich verglichen mit dem Vormonat und kletterten um 2,6 Punkte oder 4,0 Prozent auf 68,5 Punkte. Vor einem Jahr lag das Niveau des Ökonomen-Barometers noch um rund zehn Punkte unter dem derzeitigen. Das Barometer befindet sich damit weiterhin auf dem höchsten Niveau seit 2011, als der aktuelle Stand der Konjunktur letztmals mit mehr als 65 Punkten bewertet wurde.
Positives Zeugnis für Agenda
Eindeutig positiv ist aus Sicht der Ökonomen die Bilanz der Agenda 2010: Mit überwältigender Mehrheit sprechen ihr 93 Prozent ein gutes Zeugnis aus und halten sie „insgesamt für eine erfolgreiche Reform“. Nur zwei Prozent der Befragten lehnen diese These ab, fünf Prozent enthielten sich.
Entsprechend kritisch beurteilen die Volkswirte die aktuellen Reformvorschläge von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Diese sehen unter anderem eine längere Zahlung von Arbeitslosengeld I vor – vorausgesetzt, die Erwerbslosen nehmen an einer Qualifizierungsmaßnahme teil. Für die Dauer der Qualifizierung soll ein neues Arbeitslosengeld Q eingeführt werden, das genauso hoch wie das Arbeitslosengeld I ist, aber nicht auf dessen Bezugsdauer angerechnet wird.
„Das ist kein Reformvorschlag, sondern eine Rückwärtsrolle“, sagt Jürgen Donges, emeritierter Professor des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Köln. Schulz und Arbeitsministerin Andreas Nahles ignorierten die wahrscheinlichen Fehlanreize bei Arbeitslosen (nachlassende Suche nach einer Beschäftigung) und Unternehmen (Frühverrentung).
Wahlkampfrhetorik
Viele der Befragten bezweifeln die Effizienz der Pläne, halten sie für Wahlkampfrhetorik oder schlicht für weltfremd: „Die Bildungskomponente ist ein Feigenblatt“, sagt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Eine mehrjährige Qualifizierung für einen 60-jährigen Arbeitslosen laufe auf die „beitragsfinanzierte Finanzierung von Hobbys mit Blick auf die Gestaltung des Ruhestands hinaus“. Das ganze Konzept „wäre ein Rückfall in die Zeiten der vom Sozialstaat finanzierten Dauer-Arbeitslosigkeit“.
Harsche Kritik an Schulz
Einige der befragten Volkswirte formulieren teils harsche Kritik an dem Vorschlag von Schulz: „Das Modell hört sich an wie eine Belohnung für das Verbleiben in der Arbeitslosigkeit“, sagte Hendrik Leber von der Acatis Anlageberatung für Investmentfonds.
Fast allein auf weiter Flur scheint da Ökonom Karl Mosler vom Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie der Universität Köln zu stehen, der zumindest die Richtung der Schulz-Reform für die Agenda 2010 für richtig hält: „Der Vorschlag setzt grundsätzlich die richtigen Anreize.“ Es sollten allerdings nur solche Qualifizierungsmaßnahmen angeboten und durchgeführt werden, deren positiver Effekt nachweisbar ist“, schränkt er ein. Bei längerfristigen Maßnahmen von bis zu zwei Jahren werde dies vermutlich eher die Ausnahme sein.
Mit Blick auf das von Schulz vorgeschlagene Arbeitslosengeld Q sind die meisten Volkswirte skeptisch: Diesem kann nur jeder Fünfte positive Seiten abgewinnen, und von denen wiederum nur zwei Prozent „eindeutig positive“. Für sieben Prozent ist das Arbeitslosengeld Q bestenfalls neutral. Drei Viertel der Befragten (67 Prozent) sehen das Arbeitslosengeld Q hingegen kritisch – 34 Prozent eher negativ und 33 Prozent eindeutig negativ.
Wo Reformbedarf besteht
Die einzelnen Reformteile der Agenda 2010 werden von den Ökonomen indes sehr unterschiedlich beurteilt. Gefragt nach dem Grad des Reformbedarfs, wird vor allem bei der privaten Altersvorsorge ein hoher Reformbedarf erkannt. Mehr als jeder Zweite sieht hier „erheblichen“ Reformbedarf, weitere acht Prozent halten die Riester- Rente sogar für unreformierbar. „Die Riester-Rente lohnt sich für die wenigsten“, ist Stephan Klasen, Professor am Lehrstuhl für Volkswirtschaftstheorie und Entwicklungsökonomik der Universität in Göttingen, überzeugt.
Hingegen hält Bruno Schönfelder, VWL-Professor in Freiberg, die Kritik an den Riester- Verträgen für „stark übertrieben“. Sie seien „an sich ein gutes und bewährtes Instrument der privaten Altersvorsorge“.
Aus ökonomischer Sicht zufrieden sind die Volkswirte hingegen mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV). Hier sehen vier von fünf Ökonomen keinen oder nur geringen Reformbedarf. Kritischer wird die Zeitarbeit gesehen. Dort identifizieren knapp 60 Prozent einen Reformbedarf, ähnlich wie bei geringfügigen Beschäftigungen.