Deutschlands Volkswirte erwarten eine anhaltend gute Wirtschaftslage auf hohem Niveau. Sorgen um eine Deflation machen sich die Ökonomen indes nicht.
Der deutschen Wirtschaft geht es weiterhin gut. Allerdings schwindet die Zuversicht für die kommenden Quartale zur Jahresmitte. Zu dieser Einschätzung gelangen die führenden deutschen Volkswirte im Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv für den Monat Juni.
Demzufolge sinkt das Barometer gegenüber dem Vormonat um 0,4 Prozent auf 63,6 Punkte. Die Erwartungen für die kommenden zwölf Monate gehen ebenfalls zurück – wenn auch weniger deutlich als im Vormonat. Sie reduzierten sich im Juni um 3,2 Prozent auf 66,5 Punkte, im Monat zuvor waren sie noch um fünf Prozent zurückgegangen.
Damit ist die Prognose nahezu auf der Bewertung des aktuellen Standes angekommen, was für die kommenden zwölf Monate keine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage erwarten lässt. Diese Tendenz deckt sich mit dem jüngst veröffentlichten Indikator des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Der ZEW-Index war im Juni um 3,3 Punkte auf 29,8 Punkte gesunken. Es war der sechste Rückgang in Folge und der niedrigste Stand seit Dezember 2012.
Die Sorge der Europäischen Zentralbank (EZB) um eine drohende Deflation in der Eurozone wird von den meisten Ökonomen nicht geteilt. „Ich sehe das Gespenst der Deflation nicht“, sagte Siegfried Franke, Professor für Wirtschaftspolitik der Universität Budapest, und spricht damit für die Mehrheit der 80 Befragten. Nur sieben Prozent von ihnen schätzen diese Gefahr als hoch oder sehr hoch ein, die deutliche Mehrheit von 65 Prozent ist sich einig und sieht bis Ende 2015 für die Eurozone keine oder nur eine geringe Deflationsgefahr.
„Die Konjunktur hat sich stabilisiert, und selbst der Spätindikator Arbeitslosigkeit ist inzwischen leicht rückläufig“, stellte Volker Hofmann, Direktor für Wirtschaftsbeziehungen und internationale Beziehungen beim Bundesverband deutscher Banken, fest. Die Gefahr einer Deflationsspirale, also dem wechselseitigen Druck auf Unternehmenserträge und Deflationserwartungen, sei „nach wie vor sehr gering“.
Die Pläne für eine Pkw-Maut in Deutschland stoßen hingegen auf geteiltes Echo. Was an dem Vorhaben, sämtliche Nutzer der Autobahnen zu belasten, falsch sein könnte, fragte Manfred Neumann, Professor für Internationale Wirtschaftspolitik in Bonn, während Marko Bargel, Chefvolkswirt der Postbank, fordert, es müsse sichergestellt werden, dass die Mauteinnahmen für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur verwendet würden. Insgesamt waren die Meinungen der Befragten mit 46 : 49 nahezu ausgeglichen.
„Glückliches Deutschland“
Knapp die Hälfte der Ökonomen hält demzufolge die geplante Einführung einer Pkw-Maut für alle Nutzer deutscher Autobahnen über eine Vignette bei gleichzeitiger Entlastung von Inländern für EU-konform. Die andere Hälfte geht nicht davon aus, dass eine solche Regel mit EU-Recht vereinbar wäre. Manfred Schweren, Vorstand von Privalor Vermögens-Management, ist überzeugt, dass Deutschland „als größtes deutsches Transitland die Kosten nicht mehr allein tragen kann“.
Und auch Martin Werding, Professor für Sozialpolitik an der Uni Bochum, bezeichnet die Maut als „sinnvoll“, die beabsichtigte Entlastung inländischer Autofahrer könne allerdings bestenfalls indirekt und zeitlich verzögert realisiert werden.
Die deutlichsten Worte wählte Martin Moyson, Chefvolkswirt von Sal Oppenheim, der sich wundert: „Als wenn Deutschland keine größeren Sorgen hätte! Demografischer Wandel, Investitionsstau, Fachkräftemangel - und Deutschland streitet über die Pkw-Maut. Glückliches Deutschland, möchte man sagen.“