Die deutschen Volkswirte erwarten ein stabiles, kräftiges Wachstum – und geben über die Arbeit von Angela Merkel & Co ein vernichtendes Urteil ab. Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv hat seinen Aufwärtstrend auch im April fortgesetzt. Dabei schätzen die führenden deutschen Volkswirte die wirtschaftliche Lage hierzulande deutlich optimistischer ein als die Bundesregierung.
So entspricht die Prognose der Ökonomen einem auf 2014 hochgerechneten Wirtschaftswachstum in Deutschland von über drei Prozent. Die Schätzung der Regierung geht derzeit von 1,8 Prozent aus, die OECD von über zwei Prozent. Der Barometer-Wert liegt demnach im April mit 64,8 Punkten um 2,5 Prozent über dem Vormonat; die Erwartungen verbesserten sich um 2,6 Prozent auf 72,5 Punkte.
Vier minus für die GroKo
Umso vernichtender fällt vor diesem Hintergrund das erste Zwischenzeugnis für die neue Regierung aus: Die Ökonomen gaben für die ersten drei Monate nach Schulnoten im Schnitt eine Vier minus. Selbst der als völlig missglückt gescholtene Start der schwarz-gelben Vorgängerkoalition wurde im Ökonomen-Barometer vom April 2010 mit Note 3,9 noch etwas besser bewertet – obwohl die Wirtschaftslage damals deutlich schlechter war als heute und das Ökonomen-Barometer bei 42,8 Punkten stand.
Für einen neuen Barometer-Negativrekord sorgte insbesondere Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit ihren Plänen zur Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren. 95 Prozent der befragten Ökonomen lehnen dieses Rentenkonzept ab, lediglich fünf Prozent halten es für richtig. Eine so eindeutige Ablehnung eines politischen Konzepts hat es in der achtjährigen Geschichte des Ökonomen-Barometers bislang nicht gegeben. Auch die Einbeziehung von Arbeitslosenzeiten wird nur von neun Prozent der Befragten gutgeheißen. 91 Prozent der Befragten sehen höhere Rentenbeiträge als logische Konsequenz dieser Pläne.
Das Rentenkonzept sei nicht nur teuer, erläutert Tim Krieger von der Uni Freiburg, „es löst auch keines der wirklich dringenden rentenpolitischen Probleme wie den zukünftig steigenden Beitragssatz und die Gefahr der Altersarmut“. Viele der Befragten wie Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise sehen in der Rente mit 63 ein „grundlegendes Fehlsignal in einer alternden Gesellschaft“. Zudem gefährde es Deutschlands Glaubwürdigkeit in Europa, wenn gleichzeitig auf Strukturreformen in Krisenländern gedrängt werde.
Horst Schellhaaß von der Uni Köln sieht in den Plänen eine einseitige Begünstigung der älteren Generation. „Außerdem sind sie angesichts des demografischen Wandels schädlich für den Arbeitsmarkt.“ Till Requate von der Uni Kiel flüchtet sich gar in Zynismus: „Die USA hatten Vietnam, wir haben Andrea Nahles“, lautet sein Fazit.
Wichtige Themen außen vor
Bei der Bewertung der Regierungsarbeit nach Schulnoten vergaben null Prozent der Befragten die Note Eins, drei Prozent die Note Zwei. Immerhin 15 Prozent konnten sich noch zu einem „befriedigend“ durchringen, die überwiegende Mehrheit der Befragten (43 Prozent) bewerteten die Arbeit mit „ausreichend“. Die Note Fünf vergab fast ein Fünftel aller Ökonomen, und vier Prozent senkten komplett den Daumen und erteilten eine Sechs.
Vor allem die Gesetzesvorhaben zu Renten und Arbeitsmarkt sehen Ökonomen wie Lutz Arnold (Uni Regensburg) und Michael Stahl (Gesamtmetall) kritisch. Wichtige Themen, die aus Verfassungsgründen eine Große Koalition erfordern würden, vermisst dagegen beispielsweise Thomas Gries von der Uni Paderborn: „Eine Reform des Föderalismus in Deutschland ist nicht erkennbar.“ Volker Hofmann vom Bundesverband Deutscher Banken vermisst klare Konzepte und sieht zu viele, einander oft sogar widersprechende „Inselmaßnahmen“. Laut Cortal-Consors-Strategiechef Stefan Maly würden zwar viele Wahlkampfversprechen umgesetzt, „eine Zukunftsperspektive für Deutschland fehlt jedoch“, so Maly. „Insbesondere die Fragen nach einer nachhaltig organisierten Energieversorgung zu angemessenen Preisen, einer zukunftsfähigen Infrastruktur für Verkehr und Datenaustausch sowie Lösungen für die Herausforderungen des demografischen Wandels sind nicht erkennbar.“
Für Jürgen Kähler (Uni Erlangen-Nürnberg) hat sich die Bundesregierung außerdem auch außenpolitisch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Eine der wenigen positiven Bewertungen kommt von Martin Kocher vom Lehrstuhl für experimentelle Wirtschaftsforschung an der LMU München: „Die Koalition hat bisher gute Arbeit geleistet. Dass viele Ökonomen mit manchen der Ziele der Koalition nicht übereinstimmen, steht auf einem anderen Blatt.“